Klage: Polizeieinsatz beim Christival

Am 2.5.2008 wurde ein öffentliches Kiss-in (homoerotische
Zärtlichkeitsbekundung) gegen die homophoben und sexistischen Inhalte
des Christivals durch einen Polizeieinsatz gewaltsam beendet. Hierbei
erlebten mehrere queer[1]-feministische Aktivist_innen Übergriffe durch
die Bremer Polizei.[2] Gegen den Polizeieinsatz und zwei
Ingewahrsamnahmen wurde geklagt, die erste Verhandlungen hat am
28.1.2010 ab 11 Uhr im Justizzentrum, Am Wall 198, stattgefunden. Um
eine kritische und solidarische Öffentlichkeit herzustellen haben wir
am 28.1.2010, um 16 Uhr, zu einer Kundgebung am Marktplatz eingeladen.
Die Verhandlungen sind am ersten Termin noch nicht beendet worden.
Der nächste Gerichtstermin wird vermutlich im Frühsommer liegen.
Wir wünschen uns auch hier eine kritische Öffentlichkeit! Die Termine werden rechtzeitig bekannt gegeben!
Im Frühjahr 2008 fand, von diversen Protesten begleitet, das letzte
Christival in Bremen statt. Das Christival ist ein evangelikales
Großevent, zu dem jedes Mal bis zu 30.000 hauptsächlich jugendliche
Besucher_innen erwartet werden. Dort werden in modernem Gewand und mit
viel Popkultur extrem konservative und rechte Weltbilder verbreitet,
die gekennzeichnet sind von einer wortgetreuen Bibelinterpretation,
Homophobie, Sexismus und Rassismus. In die öffentliche Kritik geriet
das Christival besonders wegen zwei Seminaren: von einer Ex-Gay-
Organisation („Homosexualität verstehen – Chancen zur Veränderung“) und
einem Verein radikaler Abtreibungsgegner_innen („Sex ist Gottes Idee –
Abtreibung auch?“).Während im Vorfeld des Christivals die Kritik von
Parlamentarier_innen und Institutionen,
wie z.B. pro familia, in den öffentlichen Medien Gehör fand, wurde mit
Hilfe der Polizei versucht, sichtbare Formen des Protests während des
Christivals zu verhindern. Bei einer Veranstaltung auf dem Marktplatz
wurden bei einer kleinen, spontanen Protestaktion gegen das Christival
etwa 15 queere Aktivist_innen durch ein absurd großes Aufgebot an
Bremer Polizist_innen brutal und teilweise sexualisiert herumgeschubst,
geschlagen, gekesselt und durch die halbe Innenstadt eskortiert.
Hierbei kam es zu zwei willkürlichen und gewaltsamen Ingewahrsamnahmen.
Die zwei Betroffenen versuchen
seitdem, juristisch gegen die Bremer Polizei vorzugehen. Eine Person
erstattete Anzeige wegen Körperverletzung, eine andere wegen Nötigung
und Beleidigung.
Die Anzeige der Nötigung und Beleidigung bezog sich auf die
Durchführung einer Nacktdurchsuchung, bei der die Polizisten die
durchsuchte Person durch aggressive Sprüche versuchten zu demütigen.
Die Ermittlungen gegen die Polizist_innen wurden mittlerweile in
beiden Fällen (wie sollte es anders sein?) eingestellt. Die Person, die
Anzeige wegen Körperverletzung erstattete, wird nun zudem mit dem
Vorwurf der falschen Verdächtigung konfrontiert.
Die beiden Betroffenen reichten zudem eine Verwaltungsklage ein gegen
den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz und die Ingewahrsamnahmen vom
2.5.08. Hier kommt es nun nach mehr als eineinhalb Jahren am 28.01.2010
zur Verhandlung.Der Polizeieinsatz hatte offensichtlich zum Ziel,
jeglichen Protest zu unterbinden und vom
Christival fernzuhalten. Schon bei der Ankunft am Marktplatz wurden die
Aktivist_innen von der Polizei rabiat daran gehindert zu der
öffentlichen Veranstaltung des Christivals zu gelangen, wo sie sichtbar
untereinander homoerotische Zärtlichkeiten austauschen wollten.
Auf Gesprächsversuche der Aktivist_innen wurde von Seiten der Polizei
zu keinem Zeitpunkt eingegangen, so dass es z.B. unmöglich war, die
Protestaktion als Spontandemo anzumelden. Stattdessen eskalierten die
Polizist_innen die Situation, wurden gewalttätig und schirmten ihr
Vorgehen vor den Blicken der Öffentlichkeit ab. Ein gewalttätiges
Vorgehen der Polizei gegenüber Protestierenden ist keineswegs selten.
Dass
dies aber nur selten zu Anzeigen gegen die Polizei führt, ist kein
Wunder: Die Erfolgsaussichten sind äußerst gering. Schon bei der
Identifizierung der verantwortlichen Polizist_innen ist mensch meist
auf deren Wohlwollen (z.B. Herausgabe der Dienstnummer) angewiesen.
Dann werden zunächst Polizist_innen gegen Polizist_innen ermitteln
(oder eben nicht). Kläger_innen müssen zudem häufig mit einer
Gegenanzeige durch die Polizei rechnen.
Außerdem dauern Gerichtsverfahren lange, sind teuer und für die
Beteiligten emotional anstrengend. Nur wenige haben dafür die nötigen
finanziellen, sozialen und rechtlichen Möglichkeiten. Für viele
Menschen ist es Alltag, mit der Willkür des „Freund und Helfers“
konfrontiert zu sein, ob bei Protesten, bei rassistischen
Personalienkontrollen z.B. am Sielwalleck, bei Behördengängen… Ob es
um alltägliche Schikane oder um physische oder
psychische Gewalt geht, Polizist_innen müssen selten damit rechnen, für
Fehlverhalten oder Straftaten zur Verantwortung gezogen zu werden.
Wir fordern nicht nur hier und heute: Äußerungsfreiheit ohne staatliche Repressionen!
Mund auf und aktiv werden gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und Abtreiungsgegner_innen!
Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen!
Aufhebung der faktischen Immunität von Polizist_innen!
Keine Kriminalisierung von linkem Protest und Widerstand!
Auch für die nächsten Verhandlungen die vermutlich erst im Frühsommer
stattfinden werden wünschen wir uns eine kritische Öffentlichkeit.

http://antirep25.noblogs.org
[1] Queer meint mehr als schwul und lesbisch, sondern unterschiedliche marginalisierte Positionen von
Geschlecht und Identität. Queer ist mehr als eine Identität, sondern (auch) eine politische Strategie.
[2] Wir verwenden grundsätzlich die Unterstrich_Schreibweise, weil diese für Möglichkeiten und Identitäten
jenseits binärer Geschlechtlichkeit steht. Der Unterstrich symbolisiert all diejenigen, die von binärer
Sprachpraxis ausgeschlossen werden. Für Polizist_innen erscheint uns diese Schreibweise nicht wirklich
zutreffend, da diese durch ihre selbst gewählte Funktion die Durchsetzung der Gesetze der BRD zur Aufgabe
haben, die bis heute keine andere Identität als „weiblich“ oder „männlich“ anerkennen. Dennoch verwenden wir
auch hier den _ , mfg.
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